"Ich bin auch ein Trotzkist!" - Chávez zum Präsidenten vereidigt German Share Tweet German translation of “What is the problem? I am also a Trotskyist!” - Chavez is sworn in as president of Venezuela by Jorge Martin (January 12, 2007) Am 10. Januar wurde Hugo Chávez für eine weitere Amtszeit zum Präsidenten von Venezuela ernannt. In seiner ersten Rede nannte er die Personen in seinem neuen Kabinett und unterstrich erneut die zukünftige Stoßrichtung seiner Regierung, die er bereits am Montag, den 8. Januar, in einer viel beachteten Rede angekündigt hatte. Nach dem überwältigenden Ergebnis bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember (bei denen 7,3 Millionen Menschen, 63%, für ihn gestimmt hatten), hatte Chávez darauf bestanden, dass dieser Wahlerfolg nicht ihm als Person, sondern seinem sozialistischen Projekt gegolten hatte. Die angekündigten Maßnahmen der vergangenen Tage senden nun ein klares und eindeutiges Signal aus, wohin die Reise gehen soll. Die Zusammensetzung der neuen Regierung kann als ein Linksruck charakterisiert werden. Zunächst einmal wurde Vize-Präsident José Vicente Rangel ersetzt. Dieser hatte sich öffentlich gegen die Enteignung des Golfplatzes von Caracas ausgesprochen und ausdrücklich betont, dass die Regierung das Privateigentum respektiere. An seine Stelle tritt Jorge Rodriguez, der allgemein als auf der Linken der bolivarischen Bewegung eingeschätzt wird. Sein Vater, der den selben Namen trug, war der historische Führer der Sozialistischen Liga der 1970er Jahre. Er war unter der Folter der Geheimpolizei zu Tode gekommen. Chávez betonte außerdem, dass “wir zum ersten Mal in der Geschichte einen Minister von der Kommunistischen Partei haben“. Er bezog sich damit auf David Velasquez, den neuen „Minister der Volksmacht für Teilhabe und sozialer Entwicklung“. Venezuelas Kommunistische Partei hat bisher keine führende Rolle in der bolivarischen Revolution gespielt. Bevor Chávez von der Notwendigkeit den Kapitalismus zu überwinden gesprochen und den Sozialismus in die Diskussion gebracht hatte, hatte die KPV darauf bestanden, dass der Sozialismus nicht auf der unmittelbaren Tagesordnung stünde und dass die Aufgaben der Revolution zu diesem Zeitpunkt nur im Kampf gegen den Imperialismus lägen. Sie hatte damit die alten verräterischen Ideen der stalinistischen Zwei-Etappentheorie wiederholt. Die Partei war von Chávez’ Drängen auf den Kampf für den Sozialismus regelrecht überrumpelt worden und hatte sich in einer 180°-Wendung der neuen Stoßrichtung angeschlossen. Sie reagierte damit aber nur auf äußere Entwicklungen, anstatt sich selbst an die Spitze der Bewegung zu stellen. Unter den Ministern, die in der Regierung vertreten sein werden, befindet sich auch der neue Arbeitsminister José Ramón Rivero, den Chávez als „einen jungen Arbeiterführer“ bezeichnete. „Als ich ihn anrief“, erzählte der Präsident, „sagte er zu mir: ‚Herr Präsident, ich möchte ihnen etwas sagen, bevor es sie über andere Kanäle erreicht: Ich bin ein Trotzkist’. Und ich erwiderte: ‚Nun, worin liegt das Problem? Ich bin auch Trotzkist! Ich halte mich an Trotzkis Position – jene der permanenten Revolution.’“ José Ramon Rivero war Gewerkschaftsführer der staatlichen Aluminiumschmelze Venalum im industriell geprägten Bundesstaat Bolívar gewesen, sowie einer der Abgeordneten zur Nationalversammlung der Bolivarischen Arbeiterfront FBT. In der Vergangenheit war die FBT von sehr moderaten Elementen dominiert gewesen und hatte eine Kampagne gegen die linke UNT gestartet. Man wird sehen, welche Haltung Rivero als Arbeitsminister einnehmen wird. Er wird an seiner Position zur Frage der Arbeiterselbstverwaltung, der Fabrikbesetzungen und der Verteidigung von Arbeitnehmerrechten gemessen werden. Die Tatsache, dass sich Chávez selbst als Trotzkist bezeichnet, ist eine Widerspiegelung seiner geistigen Entwicklung nach links und seiner wachsenden persönlichen Radikalisierung. Zu Beginn der venezolanischen Revolution, im Jahre 1998, hatte er sich noch offen für den „Dritten Weg“ ausgesprochen und noch nicht den Kapitalismus in Frage gestellt. Erst im Januar 2005, als Venepal enteignet wurde, sagte er zum ersten Mal, dass es „innerhalb der Grenzen des Kapitalismus keine Lösung der Probleme der venezolanischen Massen gibt“ und dass die Revolution sich Richtung „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ weiterentwickeln müsse. Dieses Umdenken war das Ergebnis einer Reihe von Faktoren, sagte er damals. Einerseits war es die Erfahrungen der bolivarischen Revolution (als er versuchte einfache Reformen wie freien Bildungs- und Gesundheitszugang für alle durchzusetzen und sich mit einem bewaffneten Aufstand der kapitalistischen Klasse konfrontiert sah. Andererseits hätten auch Lektüre und Diskussionen sein Denken weiterentwickelt. Kurz bevor er sich als Sozialist bezeichnete, hatte er eine Ausgabe von Trotzkis Buch “Permanente Revolution” bei einer Veranstaltung in Madrid erworben, wo er vor ArbeiterInnen und Jugendlichen in Räumlichkeiten der CCOO (kommunistisch geprägter spanischer Gewerkschaftsdachverband) gesprochen hatte. Ganz offensichtlich wurde sein Interesse an den Ideen Trotzkis geweckt, da diese für ein sozialistisches Ideal standen, das sich unversöhnlich der stalinistischen Karikatur entgegenstellte. Ungefähr zu dieser Zeit meinte er in einem Interview gegenüber Al Jazeera, dass das, was in der Sowjetunion zusammengebrochen sei, kein Sozialismus gewesen wäre. Das dortige System „hatte sich weit von den ursprünglichen Zielen von Lenin und Trotzki wegentwickelt, besonders nach Stalin.“ Dies war ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte der bolivarischen Revolution. Die gesamte Gesellschaft begann darüber zu diskutieren, was der Sozialismus sei und was er für Venezuela bedeuten könnte. Die jüngsten Aussagen von Chávez sind ein weiterer Meilenstein für die Revolution. Chávez betonte, dass die neuen Minister als “Minister der Volksmacht” von Montag bis Mittwoch in ihrem Büro arbeiten sollten, während sie den Rest der Woche “draußen auf der Straße ihre Arbeitspläne umsetzen sollen”. “Nichts und niemand wird in der Lage sein, uns von diesem Weg in Richtung bolivarischem Sozialismus abzubringen”, meinte er. Bei der Einschwörungszeremonie erklärte er seine Absicht, die „Bolivarische Sozialistische Republik von Venezuela“ zu errichten: „Ich schwöre dem Volk und dem Vaterland, dass ich weder meinem Arm Ruhe, noch meiner Seele einen Moment der Rast gönnen werde; dass ich meine Tage und Nächte und mein ganzes Leben der Errichtung des venezolanischen Sozialismus widmen werde, einem neuen politischen System, einem neuen gesellschaftlichen System, einem neuen wirtschaftlichen System.“ Und er endete mit: „Vaterland, Sozialismus oder Tod!“ Wie bei allen anderen wichtigen Schritten vorwärts, die die bolivarische Revolution in der Vergangenheit gemacht hat, reagiert Chávez auf den Druck der revolutionären Massen und gibt ihm einen politischen Ausdruck, während er gleichzeitig die Initiative ergreift und durch entschlossene Vorschläge selbst den Prozess vorantreibt. Die Reaktion der revolutionären Basis auf seine Ankündigungen vom Montag, den 8. Januar, und im Besonderen auf die Verstaatlichung des Telekommunikationsunternehmens CANTV und des Energieversorgers EDC war enthusiastisch. GewerkschaftsaktivistInnen kontaktieren seither die Führung der UNT und drücken ihre Unterstützung für diese Maßnahmen aus. Die „Gewerkschaftsallianz“ bei SIDOR, dem in den 1990er Jahren privatisierten Stahlwerk in Bolívar, hat bereits ein Statement verabschiedet, in dem sie vom Präsidenten die Wiederverstaatlichung fordert. Sie haben gleichzeitig klar gemacht, dass sie keine Rückkehr wollen, als SIDOR in bloßem Staatsbesitz gewesen war. Sie verlangen vielmehr die Einführung von Arbeitermanagement, wie es in der nahe gelegenen Aluminiumfabrik ALCASA umgesetzt wird. Der neue Arbeitsminister Rivero hat bereits Treffen mit den GewerkschaftsführerInnen jener Betriebe, die verstaatlicht werden sollen, organisiert und mit ihnen über ihre zukünftige Rolle diskutiert. Er sagte, dass es im neuen Ministerrat eine Diskussion gegeben hätte, dahingehend, dass in den Betrieben Räte von ArbeiterInnen geschaffen werden sollen – beginnend mit dem Arbeitsministerium selbst. Gleichzeitig – und auch das war bei früheren Wendepunkten der Fall – arbeiten die Bürokratie und die reformistischen Elemente innerhalb des Bolivarianismus (insbesondere in den Führungskreisen) daran, den revolutionären Inhalt von Chávez’ Ankündigungen zu verwässern. Die angekündigten Verstaatlichungen hatten unmittelbar derart heftige Kurseinbrüche an der Börse von Caracas ausgelöst, dass der Handel ausgesetzt werden musste. Der neue Finanzminister Rodrigo Cabezas beeilte sich zu erklären, dass „der Verstaatlichungsprozess innerhalb des konstitutionellen Rahmen durchgeführt wird, der unter anderem Enteignungen ausschließt.“ Dies im Gegensatz zu den Aussagen Riveros, dem neuen Arbeitsminister, der die JournalistInnen daran erinnerte, dass viele aktive und ehemalige ArbeitnehmerInnen während der Privatisierungen Aktien erhalten hatten. Diese halten nach seinen Angaben insgesamt 20% des Aktienkapitals. Er meinte, dass die Regierung nach Mitteln und Wegen suche, diese kleinen AktienbesitzerInnen zu schützen, nicht aber jene, „die die Aktien an der New Yorker Börse oder sonst wo gekauft haben.“ Der Kampf ist noch lange nicht vorbei. Es ist notwendig, dass die revolutionäre Basis, und im Besonderen die revolutionären GewerkschafterInnen, auf allen Ebenen die Initiative ergreift und die Ankündigungen mit Leben füllt. Sie muss die Notwendigkeit der Verstaatlichung aller Schlüsselbereiche der Wirtschaft betonen; die Notwendigkeit den bürgerlichen Staat zu zerschlagen, ihn durch einen revolutionären Staat auf der Grundlage von ArbeiterInnen- und Volksräten zu ersetzen sowie die Vereinte Partei der Sozialistischen Revolution aufzubauen. Die Revolutionär-marxistische Strömung (CMR) in Venezuela besteht auf der Notwendigkeit, eine nationale ArbeiterInnenkonferenz einzuberufen, um all diese Fragen und insbesondere die Rolle der Arbeiterklasse in dieser neuen Phase der Revolution zu diskutieren. Eine solche Konferenz müsste einen nationalen Aktionstag der Fabrikbesetzungen beschließen. Dies hängt eng mit dem Kampf der ArbeitnehmerInnen von Sanitarios Maracay zusammen, dem ersten Betrieb in Venezuela, der von der Belegschaft besetzt worden ist und seither unter Arbeiterkontrolle produziert und seine Produkte verkauft. Ein Aufruf sollte für eine weitere landesweite Demonstration gestartet werden, um die Belegschaft dieser Fabrik in ihrem Kampf für die Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle zu unterstützen. Dies könnte zum Brennpunkt der Aktivität der Arbeiterklasse in der neuen Phase der Revolution werden – auf einer höheren Ebene noch als nach der Verstaatlichung von Venepal im Jahre 2005. Die kommenden Monate werden entscheidend für die Zukunft der bolivarischen Revolution sein. Der Arbeiterklasse kommt die Schlüsselrolle zu.