In Verteidigung der Theorie Unwissenheit hat noch nie jemandem geholfen

Schon bevor sie das Kommunistische Manifest schrieben, führten Marx und Engels (die, wohlgemerkt, ihr revolutionäres Leben als Studenten der Hegelschen Philosophie begannen) einen Kampf gegen jene „proletarischen“ Führer, die Rückständigkeit und primitive Kampfmethoden verehrten und sich hartnäckig gegen die Einführung der wissenschaftlichen Theorie wehrten.

[Source]

Der russische Kritiker Annenkow, der sich im Frühjahr 1846 zufällig in Brüssel aufhielt, hat uns einen sehr ungewöhnlichen Bericht über ein Treffen hinterlassen, bei dem ein wütender Streit zwischen Marx und dem deutschen utopischen Kommunisten Weitling entbrannte. An einem Punkt beschwerte sich Weitling, der Arbeiter war, dass die „Intellektuellen“ Marx und Engels über obskure Themen schrieben, die für die Arbeiter nicht von Interesse seien. Er beschuldigte Marx, „Analysen zu schreiben, die weit weg von der Lebensrealität des leidenden Volks sind“. An diesem Punkt wurde Marx, der normalerweise sehr geduldig war, empört. Annenkov schreibt:

„In den letzten Worten verlor Marx vollständig die Kontrolle über sich und schlug so hart mit seiner Faust auf den Tisch, dass die Lampe darauf schellte und erzitterte. Er sprang auf und sagte: ‚Unwissenheit hat noch nie jemandem geholfen.‘“ [Reminiscences of Marx and Engels, S. 272, Hervorhebung des Autors, eigene Übersetzung]

Weitling war gegen Theorie und geduldige Propagandaarbeit. Wie Bakunin vertrat er die Ansicht, dass arme Menschen immer bereit seien, zu revoltieren. Dieser Verfechter der „revolutionären Aktion“ im Gegensatz zur Theorie glaubte, dass eine Revolution jederzeit möglich sei, solange es entschlossene Führer gebe. Wir finden Echos dieser primitiven vormarxistischen Ideen noch heute in den Reihen der Marxisten.

Marx verstand, dass die kommunistische Bewegung nur durch einen radikalen Bruch mit diesen primitiven Vorstellungen und eine gründliche Säuberung in den Reihen vorankommen konnte. Der Bruch mit Weitling war unvermeidlich und erfolgte im Mai 1846. Danach ging Weitling nach Amerika und spielte keine nennenswerte Rolle mehr. Nur durch den Bruch mit dem „Arbeiteraktivisten“ Weitling war es möglich, den Bund der Kommunisten auf eine solide Grundlage zu stellen. Doch die primitive Strömung, die Weitling repräsentierte, reproduziert sich ständig in der Bewegung, zuerst in den Ideen Bakunins und später in den unterschiedlichsten Formen des Linksradikalismus, das die marxistische Bewegung bis heute plagt.

In den „Gesammelten Werken“ von Marx und Engels finden wir eine wahre Goldgrube an Ideen. Hier finden wir Engels‘ Schriften über den Bauernkrieg in Deutschland, über die frühe Geschichte der Deutschen, Slawen und Iren, seine Geschichte des frühen Christentums. In seinem Artikel über den Tod von Engels schrieb Lenin:

„Marx arbeitete an der Untersuchung der komplizierten Erscheinungen der kapitalistischen Wirtschaft. Engels beleuchtete in außerordentlich flüssig geschriebenen, oft polemischen Arbeiten die allgemeinen wissenschaftlichen Fragen und die verschiedensten Erscheinungen der Vergangenheit und Gegenwart im Geiste der materialistischen Geschichtsauffassung und der ökonomischen Theorie von Marx.“ (Wladimir Lenin zu Friedrich Engels‘ Tod, 1895, Lenin-Werke, Bd. 2)

Eine kurze Auflistung der Werke von Engels zeigt sofort sein weitreichendes Blickfeld. Wir haben sein großartiges polemisches Werk gegen Dühring, das sich tiefgründig mit der Philosophie, der Naturwissenschaft und den Sozialwissenschaften befasst. „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats behandelt die frühsten Ursprünge der menschlichen Gesellschaft. Was hat das alles mit der Arbeiterklasse und dem Klassenkampf zu tun, werden unsere „praktischen“ Kritiker fragen. Nur das: Dies war das Werk, das die Grundlage für die marxistische Staatstheorie legte, die Lenin später in „Staat und Revolution“ entwickelte, dem Buch, das die theoretischen Grundlagen für die Bolschewistische Revolution legte.

Und was sollen wir über „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“ sagen? In diesem Buch befasst sich Engels nicht nur mit den „abstrakten und abstrusen“ Ideen Hegels, sondern auch mit den Ideen obskurer kleiner deutscher Philosophen der Hegelschen Linken. Besonders in der Korrespondenz von Marx und Engels finden wir eine Schatzkammer von Ideen mit einem erstaunlichen Umfang. Die beiden Freunde tauschten Ansichten über alle möglichen Themen aus, nicht nur über Ökonomie und Politik, sondern auch über Philosophie, Geschichte, Wissenschaft, Kunst, Literatur und Kultur.

Hier ist eine vernichtende Antwort an alle bürgerlichen Kritiker des Marxismus, die ein Zerrbild des Marxismus als trockene, enge Lehre präsentieren, die alle menschlichen Gedanken auf Ökonomie und die Entwicklung der Produktivkräfte reduziert. Doch auch heute noch gibt es Leute, die sich gerne als Marxisten bezeichnen, die nicht die echten Ideen von Marx und Engels in ihrer ganzen Reichhaltigkeit, Breite und Tiefe verteidigen, sondern genau die gleiche „ökonomistische“ Karikatur der bürgerlichen Kritiker des Marxismus. Das ist kein Marxismus, sondern, um Hegels Ausdruck zu verwenden, „die leblosen Knochen eines Skeletts“, worüber Lenin kommentierte: „Notwendig sind nicht ‚leblose Knochen‘, sondern das lebendige Leben.“ (Lenin-Werke, Bd. 38, Konspekt zu Hegels „Wissenschaft der Logik“)

Lenin und Theorie

Lenin betonte stets die Bedeutung der Theorie. Selbst in der anfänglichen, embryonalen Phase der Partei führte er einen unbarmherzigen Kampf gegen die Ökonomisten, die die enge Mentalität der „proletarischen Praktiker“ hatten und die Theorie als Bereich der Intellektuellen, nicht der Arbeiter, verachteten. Als Antwort auf diesen Unsinn schrieb Lenin:

„Marx’ Ausspruch […]: ,Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.‘ Diese Worte in einer Zeit der theoretischen Zerfahrenheit wiederholen ist dasselbe, als wolle man beim Anblick eines Leichenbegängnisses ausrufen: ,Mögen euch immer so glückliche Tage beschieden sein!‘ Zudem sind die Worte von Marx seinem Brief über das Gothaer Programm entnommen, in dem er den bei der Formulierung der Prinzipien zugelassenen Eklektizismus scharf verurteilt: Wenn man sich schon vereinigen mußte, schrieb Marx an die Parteiführer, so hätte man einfach eine Übereinkunft abschließen sollen, um praktische Ziele der Bewegung zu befriedigen, sich aber auf keinen Prinzipienschacher einlassen, keine theoretischen ,Zugeständnisse‘ machen dürfen. Das war Marx’ Gedanke, bei uns aber finden sich Leute, die in seinem Namen die Bedeutung der Theorie herabzusetzen suchen!

Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben. Dieser Gedanke kann nicht genügend betont werden in einer Zeit, in der die zur Mode gewordene Predigt des Opportunismus sich mit der Begeisterung für die engsten Formen der praktischen Tätigkeit paart. Für die russische Sozialdemokratie aber wird die Bedeutung der Theorie noch durch drei Umstände erhöht, die man oft vergißt, nämlich: Erstens dadurch, daß sich unsere Partei eben erst herausbildet, erst ihr eigenes Gesicht herausarbeitet und die Auseinandersetzung mit den anderen Richtungen des revolutionären Denkens, die die Bewegung vom richtigen Wege abzulenken drohen, noch lange nicht abgeschlossen hat.“ (Was tun?, 1902)

Die Strömung der Ökonomisten stellte sich, wie Weitling und Bakunin, als „echte proletarische“ Tendenz dar, die gegen den schädlichen Einfluss der „intellektuellen Theoretiker“ kämpfte. Ein scharfer Bruch mit dieser Strömung, die in der Praxis „proletarische“ Demagogie mit reformistischer Gewerkschafterei verband, war die Voraussetzung für die Entstehung des Bolschewismus. Aber der Kampf um die Theorie gegen die „Praktiker“ war noch lange danach ein ständiges Anliegen.

Lenin schrieb 1908:

„Der ideologische Kampf des revolutionären Marxismus gegen den Revisionismus am Ausgang des 19. Jahrhunderts bedeutete nur eine Vorstufe zu den großen revolutionären Schlachten des Proletariats, das trotz aller Schwankungen und Schwächen des Spießbürgertums dem vollen Sieg seiner Sache entgegenschreitet.“ (Marxismus und Revisionismus, 1908)

In seinem Buch „Stalin beschreibt Trotzki ausführlich die Psychologie der bolschewistischen „Komiteemänner“, die ebenfalls die „Praktiker“-Mentalität hatten. Sie begingen eine ganze Reihe von Fehlern, weil sie nicht in der Lage waren, die wirkliche Bewegung der Arbeiter in den Jahren 1905–1906 zu verstehen. Der Grund für ihre Fehler (meist linksradikaler Natur) war ihr mangelndes Verständnis der Dialektik. Sie hatten eine völlig abstrakte und formalistische Vorstellung vom Parteiaufbau, die nicht mit der realen Bewegung der Arbeiter in Verbindung stand. Deshalb verließen die Bolschewiki 1905 zu Lenins Entsetzen die erste Sitzung des Sowjets in Petersburg, weil dieser sich weigerte, das Parteiprogramm anzunehmen.

Als Lenin sich 1908 in der Führung der bolschewistischen Fraktion, die von den Linksradikalen Bogdanow und Lunatscharski geleitet wurde, in der Minderheit befand, war er bereit, sich aufgrund einer Streitfrage in der marxistischen Philosophie abzuspalten. Es ist kein Zufall, dass er in dieser schwierigen Zeit, als die revolutionäre Strömung in Gefahr war, viel Zeit mit dem Schreiben eines Buches über Philosophie verbrachte: „Materialismus und Empiriokritizismus“.

Man könnte fragen, was Wladimir Iljitsch mit dem Schreiben solcher Bücher bezweckte. Welche mögliche Bedeutung kann das Studium der Schriften von Bischof Berkeley für die russischen Arbeiter haben? Man könnte auch fragen, warum Lenin es für notwendig hielt, sich wegen einer Frage der Philosophie von der Mehrheit der bolschewistischen Führer zu trennen. Aber Lenin verstand sehr gut den kausalen Zusammenhang zwischen Bogdanows Ablehnung des dialektischen Materialismus und der von der Mehrheit angenommenen linksradikalen Politik.

Während des Ersten Weltkriegs wandte sich Lenin wieder der Philosophie zu und machte ein tiefgründiges Studium von Hegel, das viele Jahre später als „Philosophische Hefte“ veröffentlicht wurde. Eines seiner letzten Werke war „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus“, in dem er erneut die Notwendigkeit des Studiums von Hegel betont:

„Gewiss ist ein solches Studium, eine solche Auslegung und eine solche Propaganda der Hegelschen Dialektik außerordentlich schwierig, und die ersten Versuche in dieser Richtung werden zweifellos mit Fehlern behaftet sein. Aber nur der macht keine Fehler, der nichts tut. Gestützt auf die Marxsche Anwendung der materialistisch aufgefassten Dialektik Hegels, können und müssen wir diese Dialektik nach allen Seiten hin ausarbeiten, in der Zeitschrift Auszüge aus den Hauptwerken Hegels veröffentlichen und sie materialistisch auslegen, indem wir sie durch Musterbeispiele der Anwendung der Dialektik bei Marx kommentieren, ebenso aber auch durch Musterbeispiele der Dialektik auf dem Gebiet der ökonomischen und politischen Verhältnisse, wie sie uns die neueste Geschichte, besonders der moderne imperialistische Krieg und die Revolution, in so ungewöhnlich großer Anzahl bieten.“

Trotzki und Theorie

Trotzki widmete, wie Lenin, sein ganzes Leben der kompromisslosen Verteidigung der marxistischen Theorie. In seinem ausgezeichneten Artikel über Engels betont er dessen akribische Haltung zur Theorie:

„Er las für gewöhnlich die wichtigsten Artikelentwürfe des sehr produktiven Kautsky und jeder seiner Kritik-Briefe beinhaltet wertvolle Vorschläge, die das Ergebnis ernsthaften Nachdenkens und manchmal auch eigener Forschungsarbeit sind. Kautskys bekanntes Werk ,Die Klassengegensätze von 1789‘, das in fast alle Sprachen der zivilisierten Menschheit übersetzt wurde, scheint ebenfalls durch das intellektuelle Labor von Engels gegangen zu sein. Sein langer Brief über die sozialen Gruppierungen in der Epoche der großen Revolution des 18. Jahrhunderts – wie auch zur Anwendung der materialistischen Methode auf geschichtliche Ereignisse – gehört zu den großartigsten Dokumenten des menschlichen Geisteslebens. Es handelt sich um einen zu gedrängten Text, und jede darin enthaltene Formel setzt ein viel zu großes Wissen voraus, als dass er weite Verbreitung finden könnte; doch dieses Dokument, das so lange nicht zugänglich war, wird stets nicht nur eine Quelle theoretischer Schulung bleiben, sondern wird auch allen, die sich ernsthaft mit der Dynamik der Klassenbeziehungen in einer revolutionären Epoche sowie mit den generellen Problemen im Zusammenhang mit der materialistischen Interpretation geschichtlicher Ereignisse auseinandersetzen wollen, eine ästhetische Freude bescheren.“ (Trotzki, Engels‘ Briefe an Kautsky, 1935)

In allen Werken Trotzkis finden wir eine weitreichende Sichtweise und ein breites Interesse, nicht nur an Geschichte, sondern an Kunst, Literatur und Kultur im Allgemeinen. Vor dem Ersten Weltkrieg schrieb er Artikel über Kunst und über Schriftsteller wie Tolstoi und Gogol. Nach der Oktoberrevolution schrieb er ausführlich über Kunst und Literatur. Sein Buch „Literatur und Revolution“ ist ein Produkt dieser Zeit.

1923 schrieb er: „Die Literatur verleiht mit ihren Methoden und Verfahren, die mit ihren Wurzeln in die entfernteste Vergangenheit zurückreichen und die angesammelte Erfahrung in der sprachlichen Meisterschaft darstellen, den Gedanken, Gefühlen, Stimmungen, Anschauungen und Hoffnungen ihrer Epoche und ihrer Klasse Ausdruck.“ (Trotzki, Literatur und Revolution) Mitten in der stürmischen Periode der Revolution und Konterrevolution in den 1930er Jahren fand er Zeit, über Literatur und Kunst zu schreiben. 1934, kurz nach der deutschen Katastrophe, schrieb er eine Rezension zu Ignazio Silones Roman „Fontamara“. 1938 verfasste er das Manifest für eine unabhängige revolutionäre Kunst zusammen mit dem surrealistischen Schriftsteller André Breton.

Wir können uns die Empörung des pseudo-marxistischen Philisters vorstellen: „Was ist das? Genosse Trotzki verschwendet seine Zeit in diesem revolutionären Moment der Geschichte damit, über Kunst zu schreiben? Was hat Kunst mit dem Proletariat und dem Klassenkampf zu tun?“ Der Philister schüttelt traurig den Kopf und schlussfolgert, dass Genosse Trotzki nicht mehr der Mann ist, der er einmal war. „Das ist nicht der Trotzki des ,Übergangsprogramms! Der alte Mann scheint seine geistigen Fähigkeiten zu verlieren!“ Ja, wir können es uns gut vorstellen!

In einem Moment, als Europa von Revolution und Konterrevolution erschüttert wurde, als seine Unterstützer ermordet wurden und die Vierte Internationale um ihr Überleben kämpfte, warum fand Trotzki Zeit, sich solchen Fragen wie Kunst und Literatur zu widmen? Wenn wir diese Frage beantwortet haben, werden wir den Unterschied zwischen echtem Marxismus, echter proletarischer Revolution und der oberflächlichen Karikatur, die in einigen Kreisen als Marxismus durchgeht, erkennen.

„Reine Theoretiker“

Während des Fraktionskampfes, der zur Spaltung in Militant führte, sagte die Mehrheitsfraktion, dass Ted Grant und Alan Woods „reine Theoretiker“ seien. Dieser abgedroschene Ausdruck sagt alles, was über diese Strömung gesagt werden muss. Jahrzehntelang hatten wir unser Leben dem Aufbau der Strömung gewidmet, die sich als die erfolgreichste trotzkistische Bewegung seit der russischen Linken Opposition herausstellte. Ausgehend von einer sehr kleinen Gruppe in den frühen 1960er Jahren, gelang es uns, eine große Organisation mit soliden Wurzeln in der Arbeiterbewegung aufzubauen.

All diese Erfolge waren das Ergebnis jahrelanger geduldiger Arbeit. Letztlich waren sie das Ergebnis der richtigen Ideen, Methoden und Perspektiven, die von Ted Grant, diesem großen marxistischen Denker, erarbeitet wurden. Ted war allen seinen Zeitgenossen haushoch überlegen. Er war tief in der marxistischen Theorie verwurzelt und kannte die Werke von Marx, Engels, Lenin und Trotzki wie seine Hosentasche.

Als Ted Grant und ich aus Militant ausgeschlossen wurden, befanden wir uns in einer schwierigen Lage. Die Mehrheit hatte einen riesigen Apparat, viel Geld und ein Team von etwa 200 Hauptamtlichen. Wir hatten nicht einmal eine Schreibmaschine. Doch Ted und ich machten uns keine Sorgen. Wir hatten die Ideen des Marxismus, und das war alles, was zählte. Meine gesamte Erfahrung hat mich überzeugt, dass man, wenn man die richtigen Ideen hat, immer einen Apparat aufbauen kann. Aber das Gegenteil ist nicht wahr. Man kann den größten Apparat der Welt haben, aber wenn man auf der Grundlage falscher Theorien und Methoden arbeitet, wird man scheitern.

Wir betrachteten die Lage und kamen zu dem Schluss, dass in der damaligen Situation, besonders nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, unsere dringendste Aufgabe darin bestand, die grundlegenden Ideen und Theorien des Marxismus zu verteidigen. Das erste Ergebnis war das Buch „Aufstand der Vernunft: Marxistische Philosophie und moderne Wissenschaft“. Unsere ehemaligen Genossen lachten herzlich über dieses Buch. Ihr sarkastischer Kommentar war: „Seht ihr! Ted und Alan haben die Politik aufgegeben, um Bücher über Philosophie zu schreiben!“ Das war ihre Haltung zur marxistischen Theorie – eine Haltung, die in der Tradition von Weitling und den bolschewistischen Komiteemännern steht, aber keineswegs in der von Marx, Engels, Lenin und Trotzki.

Früher oder später schlagen Fehler in der Theorie in eine Katastrophe in der Praxis um. Die ehemalige Mehrheit hat den Preis für ihre Fehler bezahlt. Was früher eine mächtige Strömung mit ernsthaften Wurzeln in der Arbeiterbewegung war, ist zu einem Schatten ihres früheren Selbst geworden. Auf der anderen Seite spielte „Aufstand der Vernunft eine Schlüsselrolle im Aufbau der International Marxist Tendency – heute Revolutionäre Kommunistische Internationale. Es wurde in viele Sprachen übersetzt und von vielen Arbeitern, Sozialisten, Kommunisten und Gewerkschaftern gelobt.

Wie können wir das erklären? Die fortgeschrittenen Arbeiter und die Jugend haben einen Durst nach Ideen und Theorie. Sie wollen verstehen, was in der Gesellschaft vor sich geht. Sie fühlen sich nicht von Strömungen angezogen, die ihnen nur sagen, was sie bereits wissen: dass der Kapitalismus in der Krise steckt, dass es Arbeitslosigkeit gibt, dass sie in schlechten Häusern leben, niedrige Löhne verdienen und so weiter. Ernsthafte Menschen wollen wissen, warum die Dinge so sind, wie sie sind, was in Russland passiert ist, was der Marxismus ist und andere theoretische Fragen. Deshalb ist Theorie kein optionales Extra, wie die „Praktiker“ sich vorstellen, sondern ein wesentliches Werkzeug des revolutionären Kampfes.

Die Arbeiter und die Kultur

Es ist eine Verleumdung des Proletariats zu sagen, dass die Arbeiter sich nicht für die großen Fragen der Kultur, Geschichte, Philosophie usw. interessieren. In meiner langjährigen Erfahrung habe ich festgestellt, dass unter den Arbeitern weit mehr echtes Interesse an Ideen besteht als in vielen der sogenannten kultivierten Mittelklassen. Ich erinnere mich an eine lange Zeit zurück, als ich Vorträge für Arbeiter in meiner Heimat Südwales hielt und einmal auf einen Metallarbeiter stieß, der sich selbst Portugiesisch beigebracht hatte, um die Werke eines brasilianischen Dichters zu lesen, von dem ich noch nie gehört hatte.

Die Vorstellung, dass Arbeiter kein Interesse an Kultur hätten, kommt fast immer von kleinbürgerlichen Intellektuellen, die keine Ahnung von der Arbeiterklasse haben und die Arbeiter mit dem Lumpenproletariat verwechseln. Sie verachten daher die Arbeiterklasse und zeigen ihren eigenen bürgerlichen Snobismus gegenüber den arbeitenden Menschen. Diese Art von Menschen will sich bei den Arbeitern einschmeicheln, indem sie Arbeitskleidung trägt und versucht, einen Akzent der „Arbeiterklasse“ zu imitieren. Sie benutzen eine vulgäre Sprache, um sich als Proletarier zu profilieren.

Ich habe zu viele Fälle von angeblich gebildeten Marxisten gesehen, die denken, es sei klug, die Sprache und Gewohnheiten des Lumpenproletariats nachzuahmen, in der Annahme, dass dies ihnen mehr Glaubwürdigkeit als „echte Arbeiter“ verleiht. Tatsächlich verwenden Arbeiter solche Sprache normalerweise nicht zu Hause oder in höflicher Gesellschaft. Die Nachahmung des Verhaltens der niedrigsten und am meisten degradierten Schichten der Arbeiter und Jugend ist eines Marxisten unwürdig, und noch viel weniger eines, der als Führer angesehen werden will. In seinem wunderbaren Artikel „Der Kampf um kultivierte Sprache beschrieb Trotzki solche Sprache als das Kennzeichen einer Sklavenmentalität, die Revolutionäre nicht nachahmen, sondern zu beseitigen versuchen sollten.

In diesem Artikel, der 1923 geschrieben wurde, lobt Trotzki die Arbeiter in der Schuhfabrik „Pariser Kommune“ dafür, dass sie eine Resolution verabschiedet haben, die das Fluchen untersagt und Geldstrafen für vulgäre Sprache verhängt. Der Führer der Oktoberrevolution betrachtete dies nicht als unbedeutendes Detail, sondern als eine sehr wichtige Manifestation des Strebens der Arbeiterklasse, sich von der Sklavenmentalität zu befreien und nach einem höheren kulturellen Niveau zu streben. „Schimpfwörter und Flüche sind ein Erbe der Sklaverei, der Erniedrigung und der Missachtung der Menschenwürde – der eigenen und der anderer Menschen.“ Das schrieb der Führer der Oktoberrevolution.

Es gibt viele verschiedene Schichten in der Arbeiterklasse, die unterschiedliche Lebensrealitäten und Erfahrungen widerspiegeln. Die fortschrittlichsten Schichten des Proletariats sind in Gewerkschaften und Arbeiterparteien aktiv. Sie streben nach einem besseren Leben. Sie interessieren sich lebhaft für Ideen und Theorie und bemühen sich, sich weiterzubilden. Diese Bestrebungen sind eine Garantie für die sozialistische Zukunft, wenn Männer und Frauen nicht nur die physischen Fesseln gebrochen haben, die sie fesseln, sondern auch die psychologischen, die sie an eine barbarische Vergangenheit binden.

Trotzki betonte die Bedeutung des Kampfes um kultivierte Sprache: „Der Kampf um Bildung und Kultur wird den fortgeschrittenen Elementen der Arbeiterklasse alle Ressourcen der russischen Sprache in ihrer extremen Fülle, Subtilität und Raffinesse zur Verfügung stellen.“

Er erklärt, die Revolution sei „in erster Linie ein Erwachen der menschlichen Persönlichkeit in den Massen, die dazu bestimmt waren, keine Persönlichkeit zu besitzen.“ Sie ist „vor allem das Erwachen der Menschlichkeit, ihr Voranschreiten, und ist gekennzeichnet durch eine wachsende Achtung vor der persönlichen Würde jedes Einzelnen mit einer immer größeren Sorge um die Schwachen.“ (ebd.)

Die sozialistische Transformation bedeutet nicht nur die Eroberung der Macht: Das ist nur der erste Schritt. Die wirkliche Revolution – der Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit – muss noch vollzogen werden. Engels wies darauf hin, dass in jeder Gesellschaft, in der Kunst, Wissenschaft und Regierung das Monopol einer Minderheit sind, diese Minderheit ihre Position nutzen und missbrauchen wird, um die Gesellschaft in Knechtschaft zu halten.

Wenn wir Zugeständnisse an das niedrige Bewusstseinsniveau der rückständigsten und ungebildeten Schichten der Arbeiterklasse machen, helfen wir nicht, ihr Bewusstsein auf das Niveau der von der Geschichte gestellten Aufgaben zu heben. Im Gegenteil, wir helfen, es zu senken, und dies wird immer rückschrittliche und reaktionäre Konsequenzen haben. Wir können die Diskussion wie folgt zusammenfassen: Fortschrittlich und revolutionär ist das, was dazu dient, das Bewusstsein des Proletariats zu heben. Reaktionär ist das, was dazu neigt, es zu senken.

Marxisten müssen an vorderster Front der Arbeiterklasse stehen, die darum kämpft, die Gesellschaft zu verändern. Unsere Aufgabe ist es, die Kader der zukünftigen sozialistischen Revolution zu bilden und zu schulen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, müssen wir auf dem stehen, was positiv, fortschrittlich und revolutionär ist, und entschieden alles ablehnen, was rückständig, ignorant und primitiv ist. Wir haben unser Ziel auf einen sehr hohen Horizont gerichtet. Wir müssen das Blickfeld der Arbeiterklasse, beginnend mit den fortschrittlichsten Elementen, auf den Horizont lenken, von dem Trotzki in „Literatur und Revolution sprach:

„Bis zu welchem Ausmaß der Selbstbeherrschung der Mensch der Zukunft es bringen wird – das ist ebenso schwer vorauszusehen wie jene Höhen, zu denen er seine Technik führen wird. Der gesellschaftliche Aufbau und die psychisch-physische Selbsterziehung werden zu zwei Seiten ein und desselben Prozesses werden. Die Künste: Wortkunst, Theater, bildende Kunst, Musik und Architektur – werden diesem Prozess eine herrliche Form verleihen. Genauer gesagt: jene Hülle, in die sich der Prozess des kulturellen Aufbaus und der Selbsterziehung des kommunistischen Menschen kleiden wird, wird alle Lebenselemente der gegenwärtigen Künste bis zur höchsten Leistungsfähigkeit entfalten. Der Mensch wird unvergleichlich viel stärker, klüger und feiner; sein Körper wird harmonischer, seine Bewegungen werden rhythmischer und seine Stimme wird musikalischer werden. Die Formen des Alltagslebens werden dynamische Theatralität annehmen. Der durchschnittliche Menschentyp wird sich bis zum Niveau des Aristoteles, Goethe und Marx erheben. Und über dieser Gebirgskette werden neue Gipfel aufragen.“

Join us

If you want more information about joining the RCI, fill in this form. We will get back to you as soon as possible.