China: Anti-Lockdown-Proteste zünden das Pulverfass der Wut Nur einen Monat nach dem pompösen 20. Kongress der kommunistischen Partei Chinas (KPCh), hat die Wut von unten durch die Oberfläche geschlagen. Letzte Woche gab es in der Foxconn-Fabrik in Zhengzhou gewaltsame Zusammenstösse zwischen Arbeiter und der Polizei nach Lohndiebstahl durch das Management.[Source]In den letzten Tagen kam es zu militanten Protesten in vielen Städten, die sich gegen die drakonischen Lockdowns des Regimes richten. Die Proteste bringen immer mehr die allgemeine Unzufriedenheit zum Ausdruck. Wie wir schon lange erwartet haben, zwingt die tiefe Krise des chinesischen Kapitalismus die Massen in Bewegung zu treten.Erst Flucht, dann Kampf bei FoxconnDie ArbeiterInnen in der Foxconn-Fabrik in Zhengzhou, Henan Provinz, waren die ersten, die sich bewegten. Diese Mega-Fabrik fabriziert den Grossteil aller von Foxconn produzierten Güter. Sie beschäftigt über 130.000 ArbeiterInnen, die auf dem Firmengelände wohnen.Diese Fabrik kann nicht anders als eine brutale, ausbeuterische Hölle für die ArbeiterInnen beschrieben werden. Als es im Oktober zu einem Covid-Ausbruch kam, und ein strikter Lockdown erwartet wurde, sind tausende zu Fuss geflohen – dies, nachdem das Management über Monate jegliche Sicherheitsmassnahmen bewusst vernachlässigt hatte. Jetzt stehen die ArbeiterInnen in derselben Fabrik auf, um sich gegen Lohnklau zu wehren:Am 22. November versammelten sich Arbeiter zu einem Protest. Dieser Protest wurde beantwortet mit der Gewalt der Sicherheitskräfte. Das stoppte den Protest aber keineswegs, im Gegenteil, er breitete sich auf die ganze Fabrik aus. Die lokale Polizei musste zusätzliche Unterstützung aus mehreren Städten zur Hilfe rufen. Es kam zu heftigen Strassenkämpfen auf dem Fabrikgelände. Das Fabrikmanagement musste Zugeständnisse machen und versprach allen, welche sich von den Protesten zurückziehen, 10.000 Yuan.Die Nachrichten vom Kampf breiteten sich wie ein Lauffeuer in ganz China aus. Die Bewegung der Foxconn-Arbeiter hat gezeigt, dass es möglich ist, gegen das Regime zu kämpfen und Konzessionen zu gewinnen. Das hat weitere Schichten dazu inspiriert, um selbst gegen die drakonischen Lockdown-Regelungen des Regimes zu kämpfen.Aufstände gegen die LockdownsEine Zeit lang konnten die rigiden Massnahmen der KPCh das Covid-19-Virus besser in Schach halten als im Westen. Aber wie wir bereits zuvor erklärt haben, ist es nicht möglich, in einem Land alleine eine ‘Zero Covid’-Politik umzusetzen. China kann sich nicht völlig von der Welt abschotten und das Entstehen neuer Mutationen macht neue Ausbrüche unausweichlich.Die chinesischen Massen mussten einen hohen Preis in Form von strengen Lockdown-Massnahmen zahlen, die das tägliche Leben massiv beeinträchtigten und zu Arbeitsplatzverlusten führten. Das Regime hat die Massnahmen viel länger aufrechterhalten als andere Länder. Jetzt haben sie versucht, die Richtung ein wenig zu ändern. Die bürokratische Natur des Regimes hat aber damit zu noch mehr Leiden unter den Massen geführt.Am 20. Kongress wurden Einreisebeschränkungen gelockert, gleichzeitig wurden die lokalen Bürokratien angewiesen, eine Zero-Covid-Politik aufrechtzuerhalten.Und als die Anzahl der Covid-Fälle nach dem Lockern der Reisebeschränkungen anstieg, haben die lokalen Bürokratien noch härtere Lockdowns durchgeführt, um dem Diktat von oben – die Fälle auf Null zu halten – zu entsprechen. Sie haben nicht verstanden, dass die Geduld der Massen längst zu Ende war. Es fehlte nur noch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.In Urumqi, der Provinzhauptstadt von Xinjiang, sind bei einem Hausbrand zehn Menschen ums Leben gekommen. (Es wird aber vermutet, dass bis zu 44 Menschen gestorben sind.) Dies wirkte wie ein Katalysator für die Wut. Es wurde schnell klar, dass die Lockdown-Massnahmen zu Verzögerungen in den Rettungs- und Löscharbeiten führten, was zu vielen vermeidbaren Todesfällen führte.Dies war zu viel für die Massen. Was als Aufschrei im Internet begann, entwickelte sich bald zu Protesten auf der Strasse. Einige mutige Individuen gingen voraus, ihnen schlossen sich bald hundert, bald Tausende an.Die Welle des Zorns, die durch das Internet ging, konnte von der Zensur nicht zurückgehalten werden. Überall finden Leute den Mut, sich anzuschliessen. Innerhalb weniger Tage bildeten sich im ganzen Land Mahnwachen, um den Verstorbenen in Urumqi zu gedenken. Die meisten schlossen sich das allererste Mal einem Protest an.In vielen Protesten wurden symbolisch leere Papierblätter hochgehalten: ein ironischer Seitenhieb auf das Regime, das alle von den Hongkong-Protesten 2019 übernommenen Protestparolen verboten hat.Die Jugend mobilisiert besonders energetisch, es kam in mindestens 79 Universitäten, in 15 Provinzen zu Protesten. In Nanjing gab es nächtliche Versammlungen von Studierenden. Sie sangen die Nationalhymne und die Internationale und setzten sich offen über die Lockdown-Restriktionen hinweg.Auch ausserhalb der Campusse wurde protestiert, oft mit dem Slogan: «Wir wollen kein PCR, wir wollen essen! Wir wollen keinen Lockdown, wir wollen Freiheit!». In Shanghai versammelten sich Menschen an der Urumqi-Strasse um den Verstorbenen zu gedenken. Sie wurden am ersten Tag zwar von der Polizei vertrieben, am nächsten Tag versammelten sie sich aber nochmals, dieses mal in einer viel grösseren Menge.Die Situation entwickelt sich sehr schnell, aber es ist schon jetzt klar, dass es sich um die grösste Bewegung der letzten 30 Jahre handelt.Rebellion in der LuftWir MarxistInnen unterstützen den Kampf der Massen gegen die drakonischen Lockdowns der KPCh, welche schlussendlich dazu dienen, die diktatorische Macht der Partei aufrechtzuerhalten. Xi soll sich als starker Mann präsentieren, der mit harten Mitteln das chinesische Volk vor dem Virus und anderen Gefahren schützen will. Er braucht zwingend diese Autorität vor dem Hintergrund der herannahenden wirtschaftlichen und sozialen Krise.Das Regime hat auch damit zu kämpfen, dass der eigene Impfstoff, Sinovac, weniger effektiv ist als die westlichen Impfungen. Das ist einerseits auf das Zurückhalten der mRNA-Technologie durch westliche Firmen zurückzuführen, andererseits weigert sich das Regime auch, aus Prestige-Gründen ausländische Impfstoffe zu importieren.Aber die Autorität und das Prestige des Regimes halten nicht mehr. Die Geduld der Menschen wurde an ein Limit getrieben, während Covid-19 nicht besiegt wurde. Während Grossunternehmen Steuererleichterungen bekommen, haben viele Menschen nicht einmal Zugang zu Fleisch oder Lebensmitteln im Allgemeinen.Auch wenn sich das Regime weiterhin «kommunistisch» nennt, gibt es keinen Kommunismus in China. Es gibt keine demokratische Arbeiterkontrolle, weder am Arbeitsplatz, noch in der Gesellschaft im Allgemeinen. Der Mangel an demokratischer Kontrolle hat zu Chaos und Leid unter den Massen geführt.Wenn es tatsächliche Arbeiterkontrolle in China gäbe, wäre der Kampf gegen die Pandemie von den Massen selbst organisiert worden. Normale ArbeiterInnen wären vollständig informiert und involviert, um die allgemeine Gesundheit zu schützen.Kein Vertrauen in die Liberalen!Während es zur jetzigen Zeit wenig Einflüsse von liberalen Elementen gibt, sollte trotzdem jegliche Hilfe aus dem Westen zurückgewiesen werden. Dies war der fatale Fehler, welcher die Bewegung in Hong Kong 2019 in die Niederlage führte. Es ist wahrscheinlich, dass westliche Regierungen mit gespaltener Zunge ihre «Solidarität» mit diesen Protesten für «Demokratie» bekunden werden, aber solche Angebote müssen zurückgewiesen werden. Der westliche Imperialismus ist der chinesischen Arbeiterklasse keinesfalls freundlich gesinnt, er will nur den chinesischen Imperialismus – den grössten Rivalen des US-Kapitalismus – schwächen.Wir sollten natürlich auch absolut keine Illusionen in das pro-kapitalische System unter der KPCh haben. Das Regime wird vielleicht Konzessionen machen, dies aber nur, um die Bewegung auszubremsen. Zu einem späteren Zeitpunkt werden sie hart gegen alle zurückschlagen, die sich an den Protesten beteiligt haben. Die Idee, dass unter dem jetzigen System eine Reform hin zu einem wirklichen Sozialismus möglich ist, kann ausgeschlossen werden.Bis jetzt ist die Forderung der Slogans auf ein Ende der harten Lockdowns beschränkt. Rufe für den Sturz der Xi Jinping- resp. KPCh-Regierung oder Forderungen nach Rede- und Pressefreiheit sind in der Minderheit. Sollte das Regime versuchen, die Proteste mit Repression niederzuhalten, würde dies eine schmerzhafte Lektion für eine ganze Generation von Arbeiter und Jugendlichen bedeuten.Aber sowohl Repression als auch Konzessionen sind gefährlich für das Regime. Konzessionen können einer Bewegung Selbstbewusstsein geben und aufzeigen, dass das Regime nicht so allmächtig ist, wie es scheint. Repression hingegen könnte das Feuer der Wut weiter entfachen, statt es auszulöschen.Egal wie sich die Bewegung entwickelt, die Erfahrungen werden der fortgeschrittensten Schicht helfen, korrekte Schlüsse zu ziehen. Der einzige Weg vorwärts ist der revolutionäre Sturz des kapitalistischen Regimes der KPCh und der Aufbau einer sozialistischen Arbeiterdemokratie.Eher früher als später wird das Regime zu Vergeltungsschlägen ausholen. Es wird jetzt schon davon berichtet, dass einige der ArbeiterInnen in Zhengzhou in ihrem Zuhause verhaftet wurden, nachdem sie ihre 10’000 Yuan Konzession entgegengenommen hatten.Dieser Protest hat einen kleinen Einblick in die riesige Unzufriedenheit unter ArbeiterInnen und in der Jugend gegeben. Das Regime scheint, unter all seiner Repression und Zensur, immer sehr stabil und ruhig – bis plötzlich eine Eruption von unten alles erschüttert. Dann zeigt sich die Möglichkeit einer sozialen Revolution für Millionen von Menschen. Ein Prozess der Differenzierung entlang der Klassenlinien findet statt.Solange die Wende zum Kapitalismus zu funktionieren schien, als Jobs geschaffen wurden, die Gesellschaft sich vorwärts entwickelte, hatten die Massen – trotz der beissenden Ungleichheit – das Gefühl, dass sich die Situation verbessert, dass es morgen besser wird als heute. Aber das hat klar ein Limit erreicht.Die Tage der zweistelligen Wachstumsraten sind vorbei. Jetzt treiben die Widersprüche des Kapitalismus auch in China die Massen auf den Weg des Klassenkampfs. Die letzten 40 Jahre Kapitalismus haben die grösste Arbeiterklasse der Welt erschaffen, welche mittlerweile mehrere hundert Millionen zählt. Mit diesen Ereignissen haben die Bürokraten der KPCh, zusammen mit der chinesischen Bourgeoisie und den ausländischen Investoren, allen Grund zur Sorge.